Die Wünnewiler Glockenfuhr

Die Weihe der Glocken für die neue Pfarrkirche von Wünnewil am 30. Juli 1933 wird zu einem Fest. Doch beim Aufziehen der Glocken in den Turm kommt es beinahe zu einer Tragödie.

Auf diesen Moment haben die Schulkinder von Wünnewil wohl lange hingefiebert. Es ist der 31. Juli 1933, ein Montagnachmittag. Am Sonntag davor sind die vier Glocken für die neue Wünnewiler Pfarrkirche feierlich geweiht worden. Jetzt darf die Schuljugend die Glocken in den Glockenstuhl hochziehen. «Das war ein Hallo und eine Freude», berichten am 3. August die «Freiburger Nachrichten». Da die Schalllöcher des Glockenstuhls zu eng sind, müssen die Glocken im Innern des Turms hinaufgezogen werden.

Bei den ersten zwei Glocken klappt alles reibungslos. Bei der dritten Glocke hingegen passiert ein Missgeschick, «das leicht zu einer Katastrophe hätte führen können», wie der Augenzeuge Viktor Tinguely, damals Lehrer in Wünnewil und Mitglied der Kirchenbaukommission, mehr als 20 Jahre später in einem Aufsatz über die Glocken des Sensebezirks schreibt (siehe Hinweis am Schluss des Textes). Die Kinder lassen das Kabel des Flaschenzugs zu früh los. Die Glocke, «nur noch 1 cm vom Ziel entfernt», saust hinunter in die Tiefe. Zum Glück ist der Flaschenzug sechsfach gesichert. Das bremst den Fall. Am Boden prallt die Glocke ausserdem nicht auf den nackten Betonboden, sondern auf ein Podest aus dicken Holzbalken. Das ist ihre Rettung. «Einige kleinere Scharten, die dann ausgefeilt wurden, sind die einzigen noch heute sichtbaren Narben», schreibt Tinguely.

Mit dem Schrecken davon kommt ein Mitglied der Baukommission, «das nur wenige Sekunden vorher noch an der Stelle des Aufpralls gestanden war». Nach dem glimpflich ausgegangenen Unglück ziehen Erwachsene die dritte und vierte Glocke in den Turm hoch. Rund zweieinhalb Stunden dauert es, bis alle Glocken hängen.

Am 1. August 1933 abends um acht Uhr läuten die neuen Glocken dann zum ersten Mal. Mit viel Pathos beschreibt Viktor Tinguely diesen Moment:

«Aus allen Häusern der Pfarrei waren die Leute herbeigeströmt. Es ertönten zuerst, zum letzten Mal, die Glocken der alten Kirche. Als sie verstummt waren, huben die neuen zu reden an; zuerst die kleine, zuletzt die grosse mit ihrem wuchtigen Bass. Da schlugen die Herzen vor Freude. Nach kurzer Pause erklangen die alten und neuen Glocken zusammen; jene klagend in Moll, diese sieghaft in Dur, wie Osterglocken, den Morgen einer neuen Zeit verkündend.»

Für den Glockenguss reist der Wünnewiler Pfarrer an den Bodensee

Die Baustelle der neuen Pfarrkirche an der Dorfstrasse in Wünnewil ist eine Attraktion: Seit dem März 1932 sind die Arbeiter hier am Werk. An den Wochenenden kommen zahlreiche Neugierige auch aus den umliegenden Dörfern nach Wünnewil, um zu sehen, wie die moderne Betonkirche langsam in die Höhe wächst. Eine besonderes Ereignis ist die Ankunft der neuen Glocken Ende Juli 1933, rund vier Monate vor der Einweihung der Kirche.

Mit dem Glockenguss hatte die Baukommission die Glockengiesserei Fritz Hamm im St. Gallischen Staad am Ufer des Bodensees beauftragt. Um beim Glockenguss am 17. Oktober 1932 dabei zu sein, waren der Wünnewiler Pfarrer Alfons Riedo und Viktor Tinguely als Vertreter der Baukommission extra an den Bodensee gereist.

Am 27. Juli 1933 kommen die vier Glocken per Bahn von Staad an den Bahnhof Schmitten. Auf geschmückten Fuhrwerken transportieren die vier Fuhrleute Franz Perler, Joseph Scherwey, Joseph Schafer und Vinzenz Boschung sie von dort zur Kirche Wünnewil, wo sie für die Weihe an einem geschmückten Gerüst aufgehängt werden.

Die Glocken werden mit der Bahn vom Bodensee an den Bahnhof Schmitten geliefert. (Postkarte, Fotograf: Johann Mülhauser, Freiburg; Privatbesitz)
Zahlreiche Neugierige schauen zu, wie die Glocken abgeladen werden. (Postkarte, Fotograf: Johann Mülhauser, Freiburg; Privatbesitz)

Die Glockenweihe am Sonntag, 30. Juli, wird zu einem regelrechten Volksfest, zu dem nicht nur das ganze Dorf, sondern auch zahlreiche Besucher aus der Region erscheinen. Viktor Tinguely schreibt:

«Cäcilienverein, gem. Chor und Musikgesellschaft hatten ihr Repertoire auf das Fest hin um prächtige Nummern bereichert, und ihre Produktionen bildeten den gediegenen Rahmen sowohl zur religiösen als auch zur anschliessenden weltlichen Feier im Saal Zum St. Jakob.»

Prälat Ludwig Ems, Generalvikar, segnet die neuen Glocken. (Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Fonds Mülhauser)

Ein Appenzeller als Glockenpate

Die Glocken sind verziert mit Reliefs von Heiligen und mit verschiedenen Segenssprüchen (siehe Kasten am Schluss des Textes). Sie tragen aber auch ganz weltliche Inschriften – nämlich die Namen der Patinnen und Paten, die mit ihrer Spende den Kauf der Glocken überhaupt erst möglich gemacht hatten. 10’175 Franken spendeten sie insgesamt. Damit deckten sie fast die gesamten Kosten von insgesamt 12’370 Franken (das entspricht heute rund 100’000 Franken), die die Glockengiesserei Hamm für den Guss, den Transport und die Montage der neuen Glocken verrechnet hatte. Als Teil des Geschäftes verkaufte die Pfarrei Wünnewil die zwei grössten der drei Kirchenglocken aus der alten Kirche an die Giesserei, wo sie eingeschmolzen wurden. Nur wenige Tage nach der Glockenweihe wurden die alten Glocken aus dem Turm geworfen und abtransportiert (siehe Bilder unten). Lediglich die kleinste Glocke verblieb als Totenglocke in der alten Kirche.

August 1933: Die Uhrzeiger der alten Kirche werden abmontiert. (Bilder Pfarreiarchiv)
Eine Glocke der alten Kirche.
Die alten Glocken werden zum Kirchturm hinausgeworfen.

Pate der grössten Glocke (St. Josephsglocke) war ein Appenzeller: Beda Ammann, Kaufmann aus Gonten. Er hatte einen Bezug zu Wünnewil, weil seine Ehefrau Sophie Noth aus Altschloss stammte. Patin war die gebürtige Wünnewilerin Josephine Perler, Pfarrköchin bei ihrem Bruder Paul Perler, Pfarrer in Heitenried. Die Patinnen der zweiten Glocke (Christkönigsglocke) waren die ledigen Schwestern Christina und Anna Nussbaumer aus Blumisberg, sie liessen sich durch ihren Neffen und ihre Nichte Leonhard und Gertrud Boschung vertreten. Die dritte Glocke (St. Jakobsglocke) stifteten der Wünnewiler Pfarreipräsident Jakob Schmutz und seine Schwägerin Rosalia Käser. Pate und Patin der vierten Glocke (Marienglocke) waren der Wünnewiler Gemeindeschreiber Johann Joseph Boschung und seine Frau Maria Boschung, eine geborene Schafer aus Eggelried.

Mit ihrer Spende setzten die Patinnen und Paten ein bis heute nachklingendes Zeichen ihrer Frömmigkeit – und ihres Wohlstands, der die Spende überhaupt ermöglichte.

Bei der Glockenweihe posieren die Patinnen und Paten vor den Glocken, die sie gestiftet haben. Von links: Beda Ammann und Josephina Perler vor der St. Josephsglocke, Leonhard und Gertrud Boschung mit der Christkönigsglocke, Jakob Schmutz und Rosalia Käser vor der St. Jakobsglocke und Johann Joseph und Maria Boschung mit der Marienglocke. (Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Fonds Mulhauser)

Stephan Moser

Zahlen und Fakten zu den Glocken

Die grösste Glocke, die St. Josephsglocke, hat einen Durchmesser von 1,58 Meter, wiegt 2283 Kilogramm und ist in c gestimmt. Sie trägt die Inschrift «Heiliger Joseph bitte für uns». Sie ist aber nicht nur dem Heiligen Joseph gewidmet, sondern auch Joseph Schmutz, der von 1909 bis zu seinem Tod 1932 Pfarrer in Wünnewil war und über 20 Jahre lang für den Bau der neuen Pfarrkirche geweibelt und Geld gesammelt hatte.

Die Christkönigsglocke hat einen Durchmesser von 1,32 Meter, wiegt 1265 Kilogramm und ist in es gestimmt. Die Inschriften lauten «Hl. Anna bitte für uns» und «Lasst uns anbeten Jesum Christum den König der Könige».

Die St. Jakobsglocke gehört mit einem Durchmesser von 1,14 Meter und 802 Kilogramm zu den zwei kleinsten Glocken. Sie ist in f gestimmt. «Hl. Jakob und Hl. Agatha beschützet uns vor Feuer Blitz und Gewitter» lautet die Inschrift.

Die kleinste Glocke mit 0,95 Meter Durchmesser und gerade mal 487 Kilogramm ist die in as gestimmte Marienglocke mit der Inschrift «Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir o heilige Gottesgebährerin».

«Die Töne der Hamm’schen Glocken sind rein in der Stimmung, harmonisch im Zusammenklang und kräftig, voll, weich und lang nachsingend in der Wirkung.» So pries die Glockengiesserei Hamm in ihrem Lieferungsvertrag vom 27. Juni 1932 ihre Glocken der Wünnewiler Kirchenbaukommission an. Obs stimmt? Hören Sie selbst: https://www.srf.ch/play/radio/redirect/detail/823f43e5-441a-451e-b887-911d7f97de0f

Literatur

Für diesen Artikel stützte ich mich vor allem auf folgenden Aufsatz:

  • Tinguely Viktor, Die Glocken des Sensebezirks. Dritter Teil: Die Glocken des Unterlandes. In: Beiträge zur Heimatkunde, Bd. 30 (1959). S. 21-73. (hier online einsehbar)
Erzählen Sie diese Geschichte weiter.

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