Während dreissig Jahren bemüht sich Wünnewil immer wieder vergeblich um eine Bahnhaltestelle im Dorf. Erst als sich der Bundesrat einmischt, erhält Wünnewil 1928 die gewünschte Haltestelle in der Felsenegg. Die Kosten dafür müssen die Wünnewiler allerdings selbst berappen.
Mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie Bern-Freiburg 1860/62 erhält auch Wünnewil Anschluss ans Eisenbahnzeitalter.1 Die Gemeinde erhält mit der Bahnstrecke Bern-Freiburg sogar gleich zwei Stationen, den Bahnhof Flamatt und den Bahnhof Schmitten. Letzterer steht bis zur Grenzbereinigung im Jahr 1977 nämlich auf Wünnewiler Boden.
Am Dorf Wünnewil selbst aber dampfen die Züge ohne Halt vorbei. Wer mit dem Zug nach Bern oder Freiburg reisen will, muss den Weg nach Flamatt oder Schmitten auf sich nehmen. Und der Dorfpöstler Franz Esseiva ist gezwungen, jeden Tag die Briefe und Pakete für Wünnewil zu Fuss mit einem schwer beladenen Räf auf dem Rücken von der Haltestelle Schmitten ins Dorf zu tragen.2
«Ein längst empfundenes Bedürfnis»
Diesen Standortnachteil will der Wünnewiler Gemeinderat rund vierzig Jahre nach Eröffnung der Bahnlinie beheben. In einem Brief vom 15. Dezember 1897 ersucht der Gemeinderat die Direktion der Jura-Simplon-Bahn, die damals die Strecke betreibt, die «Anlage einer kleinen Verkehrsstation zwischen den beiden Stationen: Schmitten-Flamatt, in der Felsenegg» zu prüfen. Eine solche Station sei «ein längst empfundenes Bedürfnis für Wünnewil und Umgebung, das täglich mehr sich fühlbar macht». Denn: «Der Verkehr für Wünnewyl hat sich bedeutend gesteigert und die Zufahrtsstrassen nach Flamatt u. Schmitten sind ungenügend und zu beschwerlich.»
Doch die Bahngesellschaft hat kein Musikgehör für das Anliegen der Wünnewiler. Im Januar 1898 erhält der Gemeinderat eine Absage. Man könne «(…) sowohl aus technischen als auch aus finanziellen Gründen» nicht auf das Gesuch eintreten, erklärt die Bahndirektion in Lausanne. Das Gefälle der Strecke betrage in der Felsenegg konstant 10 Promille – zu steil für die schweren Dampfzüge, um nach einem Halt bergauf wieder loszufahren.
Zudem sei die Einwohnerzahl von Wünnewil, Oberbösingen und Ueberstorf gering, die Einwohner würden ausschliesslich Landwirtschaft betreiben und seien wenig reisefreudig, der Verkehr wäre deshalb «ein äusserst schwacher». Einen Güterbahnhof zu errichten, komme deshalb auf keinen Fall in Frage. Und auch eine Haltestelle für den Personen- und Gepäckverkehr wäre unrentabel: die Einnahmen würden nicht einmal die Betriebskosten decken, so die Bahngesellschaft.
Auch die SBB sagen Nein (1910/11)
Der Gemeinderat von Wünnewil wagt 1910 einen erneuten Versuch. Dieses Mal mit der Unterstützung der Nachbargemeinden Bösingen und Ueberstorf und der Rückendeckung des Kantons Freiburg. Doch auch die inzwischen gegründeten Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) lehnen das Begehren ab. Die SBB berufen sich dabei explizit auf das negative Gutachten der ehemaligen Jura-Simplon-Bahn: Technisch nicht machbar und wirtschaftlich nicht rentabel, lautet das Verdikt der Bundesbahnen im März 1911.
Bringt die Elektrifizierung die Wende?
Damit ist das Begehren erst einmal vom Tisch, aber der Wunsch nach einer Haltestelle in der Felsenegg gärt weiter. Im Januar 1925 schreiben Wünnewil, Bösingen und Ueberstorf erneut eine Bittschrift an die Kreisdirektion I der SBB in Lausanne. Die Gemeinden wittern Morgenluft, weil die Elektrifizierung der Bahnstrecke ansteht. Damit würde die technische Schwierigkeit der steilen Strecke – die Anfahrt der Dampfloks am Berg – wegfallen, hoffen die drei Gemeinden.
Erneut betonen sie in der Bittschrift, eine Haltestelle in Felsenegg wäre eine «grosse Verkehrserleichterung» für die Bevölkerung. Die Haltestelle wäre vom Dorf in nur drei Minuten zu Fuss zu erreichen, nach Schmitten brauche man eine halbe, nach Flamatt sogar eine ganze Stunde. «Diese Haltestelle würde einer zahlreichen Bevölkerung die grössten Dienste leisten, wäre also nicht umsonst, sondern würde sehr stark benützt werden.» Der Freiburger Staatsrat, der die Bittschrift an die SBB weiterleitet, unterstützt das Anliegen vorbehaltlos.
Wieder lehnen die SBB das Anliegen ab. Interessant ist die Begründung: Momentan, so heisst es in einer internen Stellungnahme der SBB, würden nur gerade 30 Abonennten aus Wünnewil, Pfaffenholz und Mühletal regelmässig in Schmitten in den Zug steigen, um nach Bern zur Arbeit zu fahren. Für diese kleine Zahl von Pendlern lohne sich die Errichtung einer Haltestelle nicht – und obendrein würden die SBB Geld verlieren, wenn die Reisenden das günstigere Billett ab Felsenegg lösen könnten. Zudem würden trotz Elektrifizierung «auf den bergwärts fahrenden Zügen für den Betrieb bedeutende Erschwernisse entstehen», heisst es in der abschlägigen Antwort der SBB vom 25. August 1925.
Dieses Mal lassen sich Gemeinderat und Freiburger Kantonsregierung allerdings nicht so leicht abspeisen. Schon wenige Monate später, 1926, machen beide Gremien erneut Dampf bei den SBB. Allerdings wieder erfolglos. Neben den bekannten Argumenten begründen die SBB die Absage dieses Mal auch damit, dass die Bundesbahnen in einer finanziellen Krise steckten. Die Bahn müsse deshalb «alle nicht unbedingt erfoderlichen Neubauten auf längere Zeit (…) verschieben.»
Die Haltestelle wird zum Politikum
Bewegung in die Sache kommt erst 1927. Franz Boschung, Nationalrat der katholisch-konservativen Partei und Gemeindeammann von Ueberstorf, interveniert wegen der Errichtung einer Haltestelle im April 1927 persönlich bei Bundesrat Robert Haab, dem Vorsteher des Post- und Eisenbahndepartements. Und als der Nationalrat am 13. Juni 1927 über die Rechnung und den Geschäftsbericht 1926 der SBB verhandelt, nutzt der Sensler Nationalrat die Debatte, und bringt die Errichtung einer Haltestelle in Wünnewil im Nationalratssaal erneut aufs politische Tapet.3 Boschungs Lobbying zahlt sich aus: Bundesrat Haab verlangt von den SBB schriftlich Auskunft in der Frage – und plötzlich zeigen sich die Bundesbahnen konziliant.
Die Kreisdirektion I erklärt gegenüber der SBB-Generaldirektion, die früher vorgebrachten Argumente gegen eine Haltestelle seien zwar immer noch gültig. Wenn die Generaldirektion aber aus «politischen und Opportunitätsgründen» eine Haltestelle in Wünnewil wolle, werde man sich nicht querstellen. Etwas versteckt im PS schreibt die Kreisdirektion zudem, dank der Elektrifizierung könnten auf der Strecke Bern-Freiburg künftig auch leichtere Züge eingesetzt werden.
Was die Berner bekommen, wollen die Freiburger auch
Dass die Bundesbahnen plötzlich einlenken, hat nicht nur mit dem politischen Druck aus dem Bundeshaus zu tun. Die SBB haben sich nämlich auch selbst unter Zugzwang gebracht. Im Frühling 1927 versprechen sie nämlich den Bernern zwei neue Haltestellen an der Linie Bern-Freiburg in Thörishaus-Dorf und Oberwangen – aus Angst, andernfalls Reisende an die aufkommende Konkurrenz der Autobusse zu verlieren.
Als dieser Entscheid publik wird, sorgt er für Unmut im Kanton Freiburg. Vehement verlangen nun auch der Freiburger Staatsrat und der Wünnewiler Gemeinderat, gleich behandelt zu werden wie die Berner. «Diese unloyale Behandlung von Seiten der Bundesbahn wird von den gesuchstellenden Gemeinden und auch von der Bevölkerung sehr schwer empfunden», beschwert sich der Wünnewiler Gemeindepräsident Josef Perler am 27. September 1927 bei der Freiburger Regierung, die diese «vollkommen gerechtfertigte Klage» postwendend an die SBB weiterleitet.
Pro Tag halten zehn Züge
Nur wenige Tage später geben die Bundesbahnen schliesslich grünes Licht für eine unbediente Haltestelle in Felsenegg. Die Bedingungen regeln Wünnewil und die SBB im Januar 1928 in einem Vertrag. Die SBB stellen das nötige Areal unentgeltlich zu Verfügung, umgekehrt muss die Gemeinde die Kosten für den Bau des Perrons und einer offenen Schutzhütte inklusive elektrischer Beleuchtung übernehmen – 5200 Franken. Auch die Stromkosten für die Beleuchtung gehen zu Lasten der Gemeinde.
Am 15. Mai 1928 wird die Haltestelle eröffnet. Sie ist unbedient; Billette müssen im Zug gelöst werden. Waren werden an der Haltestelle Wünnewil keine abgefertigt, Güterzüge können wegen des Streckenprofils nicht anhalten. Und auch der Personenverkehr ist am Anfang ziemlich beschränkt. 1928 halten in Wünnewil pro Tag halten gerade mal zehn Züge, je fünf nach Bern und fünf nach Freiburg.
Ein politisches Lehrstück
Dreissig Jahre lang bemüht sich Wünnewil um eine Haltestelle, vier Anläufe laufen ins Leere, erst durch politischen Druck und veränderte Rahmenbedingungen wird die gewünschte Haltestelle Wirklichkeit: Man kann die Geschichte der Haltestelle Wünnewil auch als politisches Lehrstück dafür lesen, dass es in der Schweizer Politik manchmal langen Atem braucht.
Der Weitblick und das Engagement der damaligen Wünnewiler Gemeinderäte kann man nicht hoch genug einschätzen. Die von ihnen erkämpfte Haltestelle ist heute aus Wünnewil nicht mehr wegzudenken. Über 70 Mal pro Tag hält heute die S1 in Wünnewil und befördert Menschen in die Schule, ins Studium, zur Arbeit oder zu Freizeitaktivitäten. Die BLS zählte an einem durchschnittlichen Werktag im Jahr 2019 830 Personen, die in Wünnewil ein- und ausstiegen.4
Quellen
SBB Historic
- Wünnewil, Création d’une station, 1897-1898 (VGB_JS_CFFLS02_044_08).
- Wünnewil, Errichtung einer Haltestelle, 1925-27 (GD_BAU_SBBAU1_643_14).
Fussnoten
- 1860 führt die Strecke nur bis nach Balliswil, ab dort werden die Reisenden mit Pferdekutschen nach Freiburg weiterbefördert. Erst mit der Eröffnung des Grandfey-Viadukts 1862 fährt der Zug direkt in die Freiburger Kantonshauptstadt. ↩︎
- 50 Jahre Darlehenskasse Wünnewil. 1905-1955. Wünnewil 1955, S. 12. ↩︎
- Protokolle der Bundsversammlung, Sitzung des Nationalrates vom 13. Juni 1927. (hier online einsehbar) ↩︎
- Zugang Bahnstation Wünnewil. Schlussbericht Variantenstudie, Swisstraffic, 23. Dezember 2021. (Gemeindearchiv Wünnewil) ↩︎