Gentlemen auf zwei Rädern

Erfinder, Uhrmacher, Fotopionier: Der Wünnewiler Alois Nussbaumer (1859-1933) war ein Tausendsassa – und ein früher Fahrrad-Fan.

Diese historische Aufnahme zieht einen sofort in den Bann: Fünf Männer mit Anzug und Krawatte posieren auf einem Feldweg mit ihren Velos. Mit ernstem Blick schauen sie in die Kamera. Welche Geschichte verbirgt sich dahinter?

Alltagsgefährt oder Sportgerät?

Das Foto zeigt Alois Nussbaumer (ganz links) und seine Kollegen vom Velo-Club Eggelried um 1900. Ausser dem Foto ist nichts zum Velo-Club überliefert. Ob die fünf Fahrradfreunde ihre Velos vor allem im Alltag nutzten, um damit zur Arbeit oder an Vereinsversammlungen zu fahren, oder ob die Sportsfreunde lediglich am Sonntag damit über Land pedalten, ist unklar.

Ziemlich sicher dürften die Velofahrer damals für neugierige Blicke gesorgt haben. Velos waren um 1900 vor allem auf dem Land noch nicht sehr verbreitet. Das Velo erlebte erst nach dem Ersten Weltkrieg seinen eigentlichen Durchbruch als Verkehrsmittel für die breite Bevölkerung. Während 1918 erst jeder zwölfte Einwohner der Schweiz ein Velo besass, war es 1936 bereits jeder vierte.

Das Foto illustriert auch schön den Fortschritt bei der Entwicklung des Velos. Die drei Herren in der Mitte präsentieren ihre Hochräder. Das Hochrad war in den 1870er-Jahren aufgekommen. Es verlangte vom Fahrer schon fast akrobatische Fähigkeiten. Alois Nussbaumer und Johann-Josef Schafer-Käser (ganz rechts) hingegen halten ein sogenanntes Safety Bike in den Händen, das um 1890 herum auf den Markt kam, zwei gleich grosse Räder hatte und damit viel einfacher und sicherer zu fahren war als die wackligen Hochräder.

Auffällig ist auch die Kleidung: Anders als die heutigen Freizeit-Pedaleure in ihren hautengen Lycradresses waren die Velofreunde von damals eindeutig eleganter gewandet. Ganz Gentlemen auf zwei Rädern.

Mit dieser Postkarte warb Alois Nussbaumer für sein «Mechanik- und Wasserleitungsunternehmen». (Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Postkartensammlung. Fotograf: Paul Savigny)

Seine Erfindung machte ihn zum «Widder-Alois»

Spannend ist nicht nur das Foto, sondern auch Alois Nussbaumer selber, aus dessen fotografischem Nachlass das Bild stammt. Nussbaumer wurde am 21. Dezember 1859 in Bösingen geboren und lebte im Elternhaus in Eggelried. Am 27. Mai 1895 heiratete er Anna-Maria Lehmann und zog mit ihr nach Bagewil, wo er am 27. September 1933 verstarb.

Alois Nussbaumer war ein Tüftler und Technikfan. In Bagewil richtete er sich eine Werkstatt ein, in der er Brunnen-, Turbinen- und Hydrantenanlagen herstellte. Bekannt wurde er durch seine Weiterentwicklung des hydraulischen Widders, einer wassergetriebenen Pumpe. Diesen sogenannten Stossheber hatte Nussbaumer auf der Weltausstellung in Paris von 1889 kennengelernt. In Bagewil entwickelte er die Apparatur weiter und liess seinen verbesserten Widder 1897 patentieren. Seine Erfindung trug Nussbaumer den Spitznamen «Widder-Alois» ein.

Auch als Uhrmacher machte sich Nussbaumer einen Namen. In vielen Pfarrkirchen, darunter auch der alten Kirche von Wünnewil, hat er Turmuhren eingerichtet «und zwar auf gewissenhafteste, fachmännische Art», wie es in seinem Nachruf in den «Freiburger Nachrichten» vom 30. September 1933 heisst.

Gut möglich, dass es Nussbaumers Faszination für Technik war, die ihn auch aufs Velo gebracht hat.

Alois Nussbaumer produzierte und verkaufte seinen hydraulischen Widder in vier verschiedenen Grössen. Neben den Pumpen posiert einer von Nussbaumers zwei Söhnen. (Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg, Fonds Nussbaumer)

Wie funktioniert ein hydraulischer Widder?
Ein hydraulischer Widder, auch Stossheber genannt, ist eine spezielle Form der Pumpe, die der Franzose Joseph Michel Montgolfier 1796 erfunden hat. Wasser aus einem Gewässer mit Gefälle – ein Bach oder eine Quelle – treibt die Pumpe an, die einen Teil des durchfliessenden Wassers auf ein höheres Niveau pumpt.

Das Wasser fliesst durch ein System aus Druck- und Sperrventil. Die untenstehende Zeichnung von Alois Nussbaumer erklärt den Mechanismus. Das Wasser fliesst durch die Röhre (b). Ist ein bestimmter Durchfluss erreicht, schliesst sich das Stossventil (d) abrupt, dadurch öffnet sich das Druckventil (a) und ein Teil des Wassers entweicht mit hohem Druck in den sogenannten Windkessel (e) und von da in die Steigleitung (f). Diese bringt das Wasser zum gewünschten Standort, wo das Wasser pulsierend aus der Rohre gluckert (wenn Sie es noch genauer wissen wollen, hilft ihnen der Wikipedia-Artikel weiter).
Hydraulische Widder waren ideal für Orte mit geringem Wasserverbrauch wie zum Beispiel höher gelegene Einzelhöfe, die nicht ans Stromnetz oder die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen waren. Einmal angestossen, funktionierten die Pumpen selbsttätig, solange der Bach, aus dem sie Wasser förderten, genügend Wasser führte. Ausserdem waren die Widder praktisch wartungsfrei und liefen jahre- und jahrzehntelang ohne Störung. Erst mit dem Aufkommen von elektrischen Pumpen kamen die Widder aus der Mode.

Ein Exemplar von Nussbaumers Widder steht heute neben dem Pfrundspycher an der Kurmattstrasse in Wünnewil. In Aktion erleben können Sie einen Widder noch heute im Wäldchen bei Amtmerswil. Wenn Sie dem Bach entlang gehen, vernehmen Sie ein rhythmisches Klopfen. Es stammt vom Mechanismus des Widders, was ihm im Volksmund den Namen Klopfer eintrug.

Zeichnung des hydraulischen Widders von Alois Nussbaumer. (Kantons- und Universitätsbibliothek, Fonds Nussbaumer)

Wertvolle Fotografien

Für die Nachwelt besonders interessant macht Nussbaumer seine Leidenschaft für die Fotografie. Ab den 1880er-Jahren begann Nussbaumer zu fotografieren. Zuerst in Eggelried, später in seiner Werkstatt in Bagewil richtete er ein Atelier ein und machte dort Porträtfotos von Menschen aus der Region, auf Wunsch besuchte er seine Kunden auch zu Hause (ob er dazu die sperrige Fotoausrüstung auf sein Velo packte?). Regelmässig pries er sein Fotostudio mit Inseraten in den «Freiburger Nachrichten» an.

Inserat von Alois Nussbaumer in der «Freiburger Zeitung» (daraus wurden später die «Freiburger Nachrichten») vom 16. Juli 1887.

Mit seiner Kamera zog er aber auch durch den unteren Sensebezirk und lichtete zum Beispiel Eisenbahnarbeiter bei Flamatt, stolze Bauernfamilien vor ihren Höfen, Vereine oder die Wünnewiler Pfarrkirche ab. Seine Fotografien gehören zu den ältesten aus der Region und sind wichtige historische Zeugnisse. Einige von ihnen werden Sie in weiteren Dorfgeschichten kennen lernen. Einen Teil von Alois Nussbaumers Fotografien können Sie übrigens auf der Website der Kantons- und Universitätsbibliothek Freiburg online entdecken (Link). Stephan Moser

Wissen Sie mehr über Alois Nussbaumer und seine «Widder»? Dann melden Sie sich – wir freuen uns über weitere Hinweise.

Die geteilte Gemeinde
Am Beispiel von Alois Nussbaumer lässt sich schön eine Besonderheit der Geschichte von Wünnewil-Flamatt illustrieren. Nussbaumer lebte und arbeitete in Bagewil, er sass mehrere Jahre im Gemeinderat von Bösingen und engagierte sich in der Kirchenbaukommission und mit eigenem Geld für den Bau der neuen Kirche in Wünnewil 1932/33 (ein Kirchenfenster mit dem Wappen der Nussbaumer erinnert noch heute daran).
War Nussbaumer nun ein Bösinger oder ein Wünnewiler? Die Antwort lautet: irgendwie beides.
Bis 1977 war unsere Gemeinde nämlich geografisch geteilt. Wünnewil und Flamatt wurden durch einen länglichen Landstreifen der Gemeinde Bösingen in der Mitte zerschnitten. Die Weiler Staffels, Amtmerswil, Nussbaumen, Zehnthaus, Bagewil, Balsingen und Blumisberg gehörten politisch zur Gemeinde Bösingen (was erklärt, wieso Nussbaumer im Gemeinderat von Bösingen wirkte). Allerdings deckten sich diese politischen Grenzen nicht mit der Lebensrealität der Menschen. Die Kinder aus diesen Oberbösinger Weilern besuchten die Schule in Wünnewil, die viel näher lag als die Schule in Bösingen. Die Weiler gehörten auch zur Pfarrei Wünnewil (weshalb Nussbaumer am Wünnewiler Kirchenbau mitwirkte). Auch kulturell und gesellschaftlich waren die Oberbösinger nach Wünnewil ausgerichtet.
Ganz ähnlich war die Situation im Obermühletal und beim Bahnhof Schmitten. Politisch gehörten diese Gebiete zu Wünnewil-Flamatt, kirchlich, schulisch und gesellschaftlich orientierte sich die Bevölkerung aber nach Schmitten.
Ein unhaltbarer Zustand. Deshalb beschlossen die drei Gemeinden Wünnewil-Flamatt, Bösingen und Schmitten in den 1970er-Jahren, ihre Gemeindegrenzen zu bereinigen. Am 3. Dezember 1976 stimmten die Bürgerinnen und Bürger an den Gemeindeversammlungen der vorgeschlagenen Grenzbereinigung zu. Damit kam Oberbösingen zu Wünnewil-Flamatt, das Obermühletal mit dem Bahnhof Schmitten zur Gemeinde Schmitten.
Mehr über diese Grenzbereinigung werden wir in einem späteren Beitrag erzählen.

Quellen und Literatur

  • Nachruf, in: Freiburger Nachrichten, 30. September 1933, S. 5.
  • «Meine Widder können mit wenig Unterhalt 100 Jahre dauerhaft sein», in: Freiburger Nachrichten, 26. April 1997, S. 5.
  • Blanchard Raoul, Alois Nussbaumer. Photographien aus der Zeit der Jahrhundertwende (Publikation zur gleichnamigen Ausstellung im Sensler Heimatmuseum Tafers vom 10.3. bis 2.5.1985), Freiburg 1985.
  • Fotoausstellung Flamatt, 19.-21. September 1986. Fotografie aus der Zeit der Jahrhundertwende, 67 Vergrösserungen von Alois Nussbaumer 1859-1933. Flamatt 1895, 18 Gebäudezeichnungen von Prof. Dr. Fritz Nussbaum, Mühle Flamatt. Mühlital in den Jahren um 1900, 10 Fotografien aus der Sammlung von Mathilde Boschung-Bertschy, Wünnewil. Kulturkommission Wünnewil-Flamatt, 1986.
  • Flückiger Strebel Erika, Geschichte des Langsamverkehrs in der Schweiz des 19. und 20. Jahrhunderts. Eine Übersicht über das Wissen und die Forschungslücken, Bern 2014, insbesondere S. 17-26.
  • Botschaft an die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger der Gemeinden Bösingen, Schmitten und Wünnewil-Flamatt über die Grenzbereinigungen betreffend Oberbösingen und Obermühlital-Station Schmitten, Bösingen, Schmitten und Wünnewil-Flamatt, November 1976.
Erzählen Sie diese Geschichte weiter.

Empfohlene Artikel